Als naturwissenschaftliche Disziplin ist Farbpsychologie ein Teilgebiet der Wahrnehmungspsychologie. Hier werden vor allem die klassischen Fragestellungen zur Psychophysik erforscht, also die gesetzmäßigen Zusammenhänge von physikalischen Reizen und mentalen (seelischen) Erlebnissen. Auch die Farbmetrik (wie man Farben bzw. Farbunterschiede messen und mathematisch darstellen kann) fällt in dieses Gebiet.
Die geisteswissenschaftlichen Aspekte der Farbpsychologie betreffen Themen zur Semantik (d.h. Bedeutungslehre), zur Sprachwissenschaft sowie zu Kunst und Kulturgeschichte.
Empirisch forschende Farbpsychologen interessieren sich unter anderem für Fragen, die die Bereiche Neurobiologie, Soziologie und Lernpsychologie betreffen:
- alters-, geschlechts-, zeit- und kulturabhängige Farbpräferenzen (Vorzugsfarben, Lieblingsfarben)
- Wechselwirkungen zwischen visuellen Wahrnehmungen und Wahrnehmungen anderer Sinnesbereiche
- Wechselwirkungen zwischen Farbwahrnehmung und Erinnerungsvermögen bzw. Lernfähigkeit
- Einfluss der Farbwahrnehmung auf die Einschätzung von Umwelteigenschaften
- Veränderung der leiblichen / emotionalen / mentalen Disposition infolge von Farbwahrnehmung
Vor allem die zuletzt genannten Themen sind auch für Farbgestalter interessant, denn sie liefern unmittelbar Gesichtspunkte für das Gestalten von Innenräumen. So ist auch verständlich, dass im Rahmen akademischer Ausbildungen, die farbgestalterisches Wissen vermitteln, Studierende dazu angehalten werden, sich auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen zu beziehen, um Farbentwürfe frei von Subjektivismus „wissenschaftlich“ begründen zu können, vorzugsweise mit Verweisen auf Neurophysiologie und Hirnforschung.
Sich einfühlen (Empathie)
Auch Atelier Benad berücksichtigt derartige Untersuchungen, sofern uns Forschungsergebnisse vorliegen, die sich auf ein konkretes Projekt übertragen lassen. Wir sehen in derartigen Untersuchungen aber nicht den Schlüssel zur Gestaltung, sondern eine begleitende Maßnahme, die weniger der Idfeenfindung, eher ihrer Kontrolle dient. Diese kritische Haltung hängt mit der Methode zusammen, wie heute in der psychologischen Forschung Erkenntnisse gewonnen werden: durch statistische Auswertung vieler Datensätze, die sich aus Messungen bzw. Befragungen einer repräsentativen Zahl von Einzelpersonen ergeben. Der Forschende verhält sich gegenüber den Aussagen der Probanden emotionsfrei; vorzugsweise hat er eine mathematische Ausbildung, und wenn er farbenblind ist, kann das die Objektivität der Ergebnisse sogar unterstreichen.
Im Gegensatz dazu nehmen wir als Farbgestalter seelisch Anteil an Farbwirkungen, tauchen emotional ein, fühlen uns betroffen – und aus diesem „Zusammensein“ mit Farben gestalten wir. Unsere Kompetenz liegt gerade darin, dass wir – wie Heinrich Frieling es nannte – „mit der Farbe auf Du“ sind. Auch dafür gibt es einen psychologischen Fachausdruck: Empathie (Einfühlung).
Wer sich mit der nötigen Selbstreflexion und Systematik „in Farben einfühlt“, kann quasi am eigenen Leibe viele wissenschaftliche farbpsychologische Forschungen bestätigt finden. Denn auch die analytische (statistische) Methode baut letztlich auf nichts anderem auf als auf den Erlebnissen, die Menschen mit Farben haben. Nur dass sie als „intersubjektive“ Inhalte einem Versuchsleiter mitgeteilt werden, der sie anschließend statistisch auswertet.
Jede Farbe hat unterschiedliche Wirkungen, die sich im Zusammenhang mit anderen Farben entfalten.
Auch zur Flächengröße und Kontraststärke der Farben sowie zur Verweildauer in einem Raum lassen sich durch mitfühlende Wahrnehmung tragfähige Erkenntnisse gewinnen. Diese Erkenntnisse sind gerade deshalb unverzichtbar, weil die analytische Forschung immer wieder auf die Kontextabhängigkeit von Farbwirkungen hinweist: Es gibt nicht die Farben für maximalen Lernerfolg, zur Steigerung der Aufmerksamkeit oder zur optimalen Entspannung – aber es gibt im Zusammenhang einer konkreten Aufgabenstellung und Bausituation farbige Lösungen, die eindeutig zu bevorzugen sind. Gestalter mit Übung im empathischen Erleben von Farben sind hier ganz klar im Vorteil.
Auch die Aussagen naturwissenschaftlich-analytischer Studien tendieren immer mehr in die Richtung, nicht einer bestimmten Farbe eine bestimmte "Wirkung" (Aussage, Bedeutung, physiologische Reaktion) zuzuordnen, sondern die Art, wie sie den Wahrnehmenden verändert, in einem größeren Zusammenhang zu betrachten.
Farbe = Beziehung
Eindeutige Ursache-Wirkung-Tabellen gehören der Vergangenheit an; an ihre Stelle sind Beziehungs- bzw. Flußdiagramme und mind-map-ähnliche Netzstrukturen getreten. – Das unten stehende Diagramm korreliert natürliche Erscheinungszusammenhänge von Blau mit charakteristischen (menschlichen) Tätigkeiten und Eigenschaften