Nachruf: Friedrich Ernst von Garnier, * 13.8.1935, † 7.3.2023

Friedrich Ernst von Garnier hat nicht nur mein Leben, sondern das Leben von Millionen Menschen berührt – in zweifacher Weise. Zum einen, weil wir seinen Werken begegnet sind, mehr oder weniger zufällig. Seine Werke sind bzw. waren weltweit nicht zu übersehen. Zum andern haben diese Werke in vielen von uns etwas ausgelöst: Hoffnung! Mein Empfinden, als ich zum ersten Mal das farbige Rasselsteinwerk sah, war: Ein neues Zeitalter ist angebrochen! Der übermäßig große Bau ist kein Fremdkörper in der Landschaft, er ist ein Teil davon und vermittelt ihr atmosphärische Qualitäten, die sie reicher und schöner machen.

Diese Empfindung bestätigte sich mir mit jedem weiteren Projekt aus dem Studio von Garnier, dem ich begegnete. Ich ahnte: Von Garnier hat etwas entdeckt, von dem andere Farbgestalter noch nicht einmal ahnen, dass es das gibt: die Transformation eines physischen Baukörpers, eines ungeliebten Zweckobjekts mit stereotyp-reduzierten Konturen und gleichermaßen sprach- wie trostlosen Oberflächen, in eine rhythmisch klingende atmosphärische Erscheinung, die - mit der Landschaft versöhnt - den Menschen freundlich anlächelt.

Wie macht er das, mit welchen Gestaltungstechniken arbeitet er, woher nimmt er die Ideen? Das fragte ich mich – und wenig später dann auch ihn selbst. Ich wollte seinem Geheimnis auf die Spur kommen, von dem ich in der etablierten Farbgestaltungsliteratur noch nie gelesen hatte, und dieses Geheimnis als Fachbuch öffentlich zugänglich machen. Herr von Garnier, den ich von diesem Zeitpunkt an Mungo nennen durfte, öffnete mir die Tür zu seinem Studio, seinen Planungen, seinen Intuitionen, seinen Zielen und seinem leidenschaftlich ausgetragenen Kampf gegen die Verödung und Verrohung der Landschaften, der Städte, der Gesellschaft. Dabei lernte ich ihn als großzügigen und freigiebigen Menschen kennen, als willensstarken und authentischen Verhandlungspartner, als moralisch unbestechlichen Mahner und nicht zuletzt als Gestalter, der sich in eine Gestaltungsaufgabe umfassend einfühlen, eindenken und sie aus der Quelle seiner zielsicheren Intuition lösen kann. Farbentwürfe für Großprojekte erstellte er als Skizze in Schwarzweiß mit dem 6B-Bleistift und gab diese seinen Mitarbeitern mit präzisen Beschreibungen zur Qualität des Farbklangs und zur Lichtstimmung. Dafür bewundert zu werden, lehnte er konsequent ab. Es sei ganz einfach, und er sei nur deshalb so erfolgreich, weil die Latte so tief liege und die Architekten keine entsprechende Ausbildung erhielten.

„Häuser sind auch nur Menschen“, sagte er oft, fast schon entschuldigend, um das atmosphärische Desaster mancher Neubaugebiete zu erklären. Gemeint ist: In jedem Bauwerk bildet sich die Intention eines Bauherrn ab, und diese ist oft auf den reinen Wirtschaftszweck reduziert. Andererseits erscheinen Bauprojekte, die von Garnier farblich begleitet hat, von ihrer reinen Zweckbindung wie erlöst. Man erlebt, dass jemand sich umfassend in die Situation eingefühlt hat, um das Bauwerk - wie er es nannte - „farbig zu Ende zu empfinden“. Dabei wird vieles einbezogen: das Stadt- und Landschaftsbild, der „Raum zwischen den Wänden“, die menschlichen Sehbedürfnisse, die reale und empfundene Statik eines Bauwerks, seine Proportionen, Materialität und Funktion – und das Budget des Bauherrn: „Der beste Entwurf taugt nichts, wenn er nicht realisiert wird.“

Von Garnier war ein Meister des Realisierens. Seine Fähigkeit, Bauherren für Farbentwürfe zu begeistern, war grandios. Dabei versprach er nichts Spektakulär-Auffälliges. Ganz im Gegenteil: Er wolle, so sagte er, „vertraute Umgebungen schaffen", Umgebungen, in denen Menschen gerne sind, Umgebungen, die Menschen „stark machen“. Gerade das macht von Garniers Bauten (vor allem die Industriebauten) so spektakulär: Sie wirken menschlich-vertraut, sie „grüßen statt zu drohen“, sie laden ein statt abzuweisen, sie bereichern ihre Umgebung atmosphärisch anstatt Ödnis zu verbreiten. Da wird nicht mit Farbe aufgehübscht, was im Kern hässlich ist: Von Garniers Farbigkeiten sind pure Transformation!

Oft habe ich den Eindruck, von Garniers Gestaltungen sind nicht von dieser Welt. Sie sind Manifestationen einer atmosphärisch lichten, rhythmisch klingenden Existenz, in der die physischen Baukörper wie selbstverständlich eingebettet sind. An ihnen verkörpert sich das Lichte, das Klingende des Daseins. So ist denn auch „Lichtstimmung“ eine zentrale Vokabel, mit der von Garnier seine Gestaltungen beschreibt.
Mit diesem Ansatz ist er seiner Zeit weit voraus. Als tragisch erlebe ich, dass sein umfassender Gestaltungsimpuls mit der Insolvenz seines Studios verklingt und viele der von ihm gestalteten Bauten verschwinden oder in einem gänzlich anderen Sinn verändert werden. Sein Werk neu zu entdecken und umfassend zu würdigen, ist die Aufgabe nachfolgender Generationen.

Danke, lieber Mungo, für Deine Großzügigkeit, Dein Können und Wissen zu teilen. Danke für Deinen unermüdlichen Kampf um eine „farbigere Welt“. Danke für die Zuversicht und Hoffnung, die Du mit Deinem Wirken so vielen Menschen gegeben hast.
(Martin Benad)

Farbig zu Ende empfinden...