Farbig statt bunt
Wodurch unterscheiden sich farbig und bunt? Mit bunt wird das Zufällige, Ungestaltete, nicht Ausgewogene bezeichnet: das bunte Nebeneinander. Beim Farbigen liegt die Betonung auf der Abstimmung: Alle Elemente nehmen erkennbar Bezug aufeinander, klingen zusammen, finden einen gemeinsamen Ausdruck. Im Vergleich mit der Musik bedeutet bunt: Jeder spielt was er will, unabhängig von den anderen. Farbig heißt: Man musiziert miteinander.
Das bunte Treiben der Kleinstadt
Würde man die farbige Fassung einer Straßenzeile in Bad Godesberg (Bild 1) in Musik übersetzen, so würde man drei laute, isolierte Fanfarenstöße hören (Haus 1, 3, 6), einen etwas leiseren Ton (der nicht ganz weiß, wo er klanglich hingehört, Haus 5), und immer wieder graues Rauschen, das weder Pause (also ein erfülltes Schweigen) noch hörbarer Klang ist (Haus 2,4,7). Farbe ist unerbittlich: Sie kostet nicht viel, ist ganz schnell aufgestrichen – und aus einer Häuserzeile wird plötzlich ein Sammelsurium, das überdeutlich eine Frage stellt: Wollen die 7 Häuser irgendetwas miteinander zu tun haben, oder sind es 7 Einzelkämpfer?
Oft entstehen derartige Farbfassungen zufällig: Ein Bauherr renoviert, möchte das Einheitsgrau nicht mehr und greift zur Farbe. Die fällt – auch aufgrund falscher Beratung – viel zu grell aus. Bei der Renovierung eines Nachbarhauses orientiert man sich nun an der grellen Steilvorlage des Erst-Täters, möchte sich aber im Farbton deutlich absetzen. Was soll jetzt der dritte, vierte oder fünfte Bauherr machen? Was man auch macht: Die Situation ist verfahren.
Wir entwickeln in diesem Aufsatz eine Farbgestaltung aller 7 Häuser, mit der wir Malerbetriebe und Bauherren auch an anderen Orten dazu anregen möchten, zunächst an die Gesamtstimmung zu denken und nicht an die einzelne Fassade, die zur Renovierung ansteht.
Farbige Abläufe planen
Zunächst wird die vorhandene Farbfassung am Computer entfernt und alle Häuser werden auf Hellgrau gesetzt (Bild 2). Die Fotomontage, in der die 7 Häuser aus verschiedenen Einzelfotos verzerrungsfrei zusammensetzt sind, zeigt klar, dass Grau keine Lösung ist, sondern nur die Struktur der Häuser und ihre Beziehungen sichtbar machen soll. Links von Haus 1 geht die Häuserzeile weiter, allerdings mit einem stark zurückversetzten Haus, so dass der Bereich links von Haus 1 nicht in die Gestaltung einbezogen wird.
Wichtig ist, eine Grundhelligkeit zu finden, die zum Gewicht der Häuser, zu ihren Dächern, zum Grün der Gärten und Büsche passt (Bild 3). Oft werden Gebäude zu hell gestaltet, was sie stark aus ihrer Umgebung herausgliedert. Bild 3 und Bild 4 (Farbverteilung) werden parallel entwickelt, indem Bild 3 die Schwarzweiß-Variante von Bild 4 darstellt. Der mittlere Bereich (Häuser 3 – 6) wird dunkler gehalten als die äußeren Häuser. Sie haben mehr „Gewicht“ bzw. in der farbigen Fassung mehr „Farbkraft“ als die Häuser im Randbereich. Würden alle Häuser dieselbe Helligkeit und dieselbe Farbkraft aufweisen, entstünde Beliebigkeit. Man kann nicht alles gleich machen, man muss Schwerpunkte setzen, das heißt aber auch, manche Häuser zu „führenden“ Häusern machen, damit sinnvolle Farb-Entwicklungen ablesbar sind. Das hat in unserem Beispiel nichts mit der baulichen Wertigkeit des Mittelhauses zu tun, sondern ist eine Frage der Dramaturgie, ohne die farbliche Abläufe nicht möglich sind. Kein Haus ist „besser“ als das andere, aber im Zusammenklang des Ensembles müssen Rollen verteilt werden und manche Häuser farblich herausgestellt, andere zurückgenommen werden.
Von warm nach kühl
Dem Mittelhaus wird ein kräftiges, impulsierendes Orangerot zugeordnet, das nach rechts in kühlere Nuancen ausläuft, nach links wärmere Gelbs entfaltet. So startet die Reihe links mit einem „passiven“ Ocker (Haus 1), das über einen „aktiven“ Ocker zunehmend Kraft und Wärme entwickelt (Haus 3 und 4). Über „leisere“ Brauntöne klingt die Reihe in einem geradezu nachdenklichen Violett aus. Sowohl was die Chromatik – die Abfolge der Nuancen – als auch die Intensität der Farben angeht, ist das Ensemble klar strukturiert, und diese Ordnung lässt sich beim Betrachten intuitiv erfassen. Betrachtet man die Feinheit der Dachstrukturen und den Nuancenreichtum der Grüns in den Gärten, so wirken die Farben der Fassaden trotz ihrer Abwechslung relativ plump: Im aktiven Rotorange-Bereich können sie eine Überforderung der Fassade darstellen, im Braun- und Violettbereich wirken sie möglicherweise etwas düster und drückend.
Von dunkel nach hell
Wie es dem natürlichen Empfinden entspricht (unten schwer, oben leicht), wird das Obergeschoss der Häuser aufgehellt. Erst jetzt nimmt die Farbigkeit wirklich Bezug auf das einzelne Haus, macht dessen Gliederung besser ablesbar, und verleiht der gesamten Farbstimmung mehr Leichtigkeit. Die Farben wirken lichthafter und weniger massiv. Mit der vertikalen Auflichtung an 4 Fassaden wird weitere Helligkeit ins Spiel gebracht, die auch dazu beiträgt, dass die betreffenden Häuser jeweils einen eigenen Farbdreiklang entfalten. Gerade die in der Intensität zurückgenommenen Häuser 1 und 7 erhalten dadurch eine eigene Charakteristik, die die Kraft des Mittelhauses fein ausbalanciert.
Was baulich zusammen gehört, sollte farblich nicht auseinander gerissen werden. Unser Beispiel ist eine Möglichkeit von vielen, nicht Einzelfassaden zu gestalten, sondern den farbigen Stimmungsraum, an dem viele Fassaden gemeinsam teilhaben. Die Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Wo ein Ganzes erkennbar wird, erscheint auch jedes Teil wichtiger und wertiger. Die relativ triviale Architektur der Häuser, die in Bild 1 ins Auge springt, ist in Bild 5 verschwunden. Gemeinschaft bedeutet nicht, dass der einzelne zurückstecken muss. Im Gegenteil: Er gewinnt mehr, als er ohne die Nachbarn isoliert für sich erreichen kann.
Text: Martin Benad, Fotos und Farbentwürfe: Jürgen Opitz